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SIENA ROOT – A Dream Of Lasting Peace

2017 (MIG Music) – Stil: Rock / Psychedelic


Diese schwedische Band war schon vor der großen Retrorockwelle ab 2009 aktiv und ich habe zumindest das Debütalbum von 2004 noch als LP in meiner Sammlung. Muss mal dringend entstaubt werden. Dazu kommt das ´Different Realities´ von 2009 und jetzt das nagelneue Werk ´A Dream Of Lasting Peace´. Immer sind es zwei Alben, die dazwischen liegen und mir zum Nachvollziehen des Werdegangs fehlen. Dennoch, die warme, weiche und dezent melancholisch wirkende Stimmlage des Sängers ist für mich gleich einer dieser Haken, die bei guter Musik direkt in meine Seele dringen. Der klare, jedem Instrument seine Freiräume schenkende Sound und das lebendige Feeling der Performance folgen auf dem Fuße. Du hast das Gefühl, als würde die Band im gleichen Raum mit Dir aufspielen.

Dass die Männer ihre Instrumente beherrschen, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Dass sie aber auch so blind auf einander eingespielt sind und jeder Akkord, jede Harmonie und jeder rhythmische Schlag perfekt in das Gesamtbild eingearbeitet worden sind, ist auch in der heutigen Zeit kein Usus. Hier wird in Handarbeit Musik gespielt, die den Bandmitgliedern direkt aus der Seele strömt. Die Songs sind dabei gut durchkomponiert, haben hier und da ihre Passagen, wo Solisten mal von der Leine gelassen werden und voller überschäumender Lebensfreude herumtollen können wie junge Hunde, kommen aber immer beim Kommando des Masterminds/Bassisten Sam Riffer auf den Punkt zurück. Stilistisch sitzt man zwischen 1969 und 1971 im für die damaligen Zeiten typischen Rock, der sich zum Hardrock bekennt, aber auch verspielt progressive Elemente offenbart und sogar mit einer leicht drögen Bar-Blues-Ballade im Mittelteil mit umherschwingenden, tänzelnden Beats und schönen Orgelläufen aufwartet. Das wäre dann ´The Piper Won’t Let You Stay´, aber so weit sind wir noch nicht.

Denn schwungvolle Schlagzeugtriolen im 4/4-Takt eröffnen das Werk, pulsierende Läufe, ein funkiger und souliger Grundeinschlag, toller Gesang mit vertraut anmutendem, aber frischem Refrain machen ´Secrets´ gleich zu einem guten Opener. Im Solopart gibt es kleine Zickereien zwischen Orgel und Gitarre, alles klingt so herrlich lässig. Ein wenig verstörende Läufe birgt der Refrain, das ist wohl der Hauch Progressivität. Wie einen alten Freund begrüßt man dann den erdigen Rocker ´Tales Of Independence´ und solche Rocksongs verlieren auch fast 50 Jahre nachdem sie zum ersten Mal von Rockbands gespielt worden sind nicht an Power. Originell ist das nicht, dafür einfach nur sexy. ´Sundown´ als entspannter West Coast-Rocker bringt Dir auch gleich Bilder von einer abendlichen Fahrt im Cabrio auf der Küstenstraße – irgendwo zwischen San Francisco und LA – in die Sinne. Zwischendrin kommt er mit einem funky rockenden Mittelteil ein wenig in Partystimmung und die Orgel übernimmt einen Hauptanteil am Solo. Dann bekriegt sich die Band und kreuzt weiter mit wehendem Haar auf dem Highway in den Sonnenuntergang. Perfekte Umsetzung dieses Bildes in Rockmusik. Nun aber ´The Piper Won’t Let You Stay´, eine drückende Atmosphäre, schöne Gitarren, Melancholie, alles dezent sehr entspannt und doch irgendwo schlichtweg schön. Selbst aus solchen Momenten im besten Engtanzstil holen SIENA ROOT soviel Mehrwert raus. Intensiv …

´Outlander´ rockt bärbeißig und entschlossen mit bluesigem Feeling drauflos. Ich habe eine bekannte englische Band als Vorlage im Kopf, die im Refrain durch kurze Breaks nur mit Gesang und Leadgitarre rausgefegt werden. Der Song ist toll, hätte ´71 oder ´72 einen absoluten Hit abgegeben und das Publikum des ‚Isle Of Wight Festivals‘ zur Ekstase getrieben. Nun, jetzt treibt er erst mal mich zur Ekstase. Geiler, entfesselt groovender Mittelteil übrigens. Die Orgel wieder als Leadinstrument mit furiosem Solo. Eine echte Hymne und neben ´Growing Underground´ als treibender Powerrocker mit Duellen von Leadgitarre und Orgel, dazu lockeren, fröhlichen und spannenden Gitarrenläufen im Mittelpart eines meiner Highlights. Originell ist das freilich nicht. Ich könnte jetzt drei bis vier Vorlagen aus der damaligen Zeit aufzählen, die hier ihre Spuren hinterlassen haben. Aber um die Neuerfindung des Rades geht es SIENA ROOT auch nicht. Und mit ´Empty Streets´ gibt es gleich darauf einen so schön dahinschwebenden, balladesk melancholischen Song mit kräftigem Refrainpart, der mir zwar ebenfalls die alten Helden zurück in die Seele ruft, aber so unaufdringlich ehrlich, so herzlich und ergreifend wirkt, dass ich keine Wahl habe und zu träumen beginne, wie ich in verregneter Nacht über nasses Kopfsteinpflaster in irgendeiner Stadt durch ein heruntergekommenes Viertel spaziere. Ich spüre regelrecht den Regen auf der Haut.

Wenn Musik solche Seelenreisen ermöglicht, kann nur von einem gelungenen Werk gesprochen werden. Auch wenn dann durchaus noch ein freundlicher Rocker gemahnt, dass hier auch manchmal nur der Kaffee von gestern aufgewärmt wird. Aber mit einem guten Schuss Whiskey und etwas Kardamom mundet auch das. Scheint ein Lied über das Rauchen von selbstgedrehten Kippen zu sein. ´No Filters´, ha. Freundlicher, straighter Hardrock, nette Orgel, guter Gesang, alles fein. Aber ganz dezent zu entspannt. ´Imaginarium´ ist auch entspannt, aber anders. Die Rhythmen sind etwas verschlungener, tänzeln umher und haben einen jazzigen Einschlag, die Orgel dreht gerne etwas freier, auch wenn die melancholische Melodie Dich stets packt und die Gitarre singt Dir sehnsuchtsvoll vom endlosen Highway, vom Lichterglanz der großen Städte und von den verruchteren Ecken dort vor. Hart rocken kann der Song auch, entschwindet aber schon bald wieder in der Unendlichkeit. Klar muss am Ende des Albums ein epischer Kracher stehen. ´The Echoes Unfold´ ist ein solcher. Wieder sehr sehnsuchtsvoll, melancholisch und doch irgendwie entschlossen beginnt das Stück mit einer ruhigen Strophe, wo ein markantes Riff und der Gesang im Dialog stehen. Der Refrain klingt danach befreiend, kräftig, aber auch irgendwie verschwommen, ganz dezent nur. Die Orgel setzt dann nach dem zweiten Refrain zu einer tragisch schönen Melodie an, Schlagzeug und Bass geben den Beat und die Gitarre singt mit der Orgel zusammen so traurig und resigniert von den schönen Momenten, dass einem das Herz zu glühen beginnt. Und der Song verschwindet im Nichts, obgleich die Läufe immer leidenschaftlicher werden.

Natürlich wird hier nach Papas Rezeptbuch gekocht: DEEP PURPLE treffen auf FREE und schreiben gemeinsam Songs. Und, kann das heute noch gut sein? Ich denke schon. Ich will auch nur diesen einen Anhaltspunkt als Vergleich geben, denn die Überzeugungsarbeit beim Fan von eindringlicher Rockmusik nahe am Ursprung leisten SIENA ROOT selbst.

(8 Punkte)