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RUSH – Clockwork Angels

~ 2012 (Roadrunner/Warner) – Progressive Rock / Rock ~


Ohlala, das neue Rush Album. Um ein Fazit mal vorwegzunehmen: In dieser Platte ist mehr „classic“ RUSH drin als in allen Releases seit „Counterparts“ (1993!!). Wenn man vor allem ein Fan der „alten“ Rush ist, würde ich sogar sagen, mehr als in allem seit „Signals“. So, aber „in medias res“ und der Reihe nach: Das Album startet recht unspektakulär mit den schon bei der letzten Tour live vorgestellten Tracks „Caravan“ und „BU2B“. Beides auf jeden Fall die schwächsten Tracks des ganzen Albums. „Caravan“ fand ich live eigentlich ganz ansprechend weil’s im Konzert gut abgerockt hat, aber jetzt auf Platte… klingt das irgendwie halbgar, wie nicht fertig komponiert bzw. einfach ein paar Teile zusammengeklatscht. Keine Hookline, irgendwie nur schräges Geboller. Der „I can’t stop thinking big“-Quasi-Refrain ist noch das beste, reisst’s aber auch nicht mehr raus. „BU2B“ ist schon schlüssiger und eigentlich auch ein ganz „okayer“, rockender RUSH-Song, aber auch hier fehlt die zwingende Hookline oder einprägsame Parts oder Riffs, die herausstechen. Nun denn, wenn das so weitergeht… Geht es nicht. Denn gleich an 3. Stelle kommt der Hammer, ein RUSH-Meilenstein, der ab jetzt zu den Glanzstücken der Karriere zählen wird. Siebeneinhalb Minuten lang zelebrieren die 3 Ausnahmemusiker aus Kanada im Titelsong sich selbst und schaffen es, fast 40 Jahre RUSH da reinzupacken. Alles da: Der epische Aufbau, die großen Melodien, die Sound-Trademarks – hier speziell Riffs und Soundkaskaden von Alex‘ meisterlich geschwungener Axt -, die handwerklichen Kabinettstückchen. Schon jetzt ein Klassiker. Der Song beginnt mit einem atmosphärischen Intro, übergehend in ein Gitarrenriff, was so auch auf „2112“, „Hemispheres“ oder „Moving Pictures“ gepasst hätten (Erinnert nur mich der Sequenzer an „One Of These Days“?). Die Strophe dann mit klarem Sound und Guitar-Picking im 80er-Style (könnte auf „Power Windows“ oder „Hold your Fire“ stehen), bevor dann in den beiden Refrain-Teilen wieder Reminiszensen an die 70er Hochphase bis hin zum 80-er Meilenstein „Moving Pictures“ wach werden. Ganz großes RUSH-Kino, hier stimmt einfach alles. Für mich der beste Rush-Song seit „Nobody’s Hero“. Doch obwohl es nach so einem Epos eigentlich nur abfallen kann, bleibt das Niveau hoch. Die beiden nächsten Tracks klingen gerade in der Gitarrenarbeit wieder nach frühen 80ern, bei „The Anarchist“ sind die besseren Riffs vertreten und der typische Rush-Groove flüssiger, dafür ist der Refrain von „Carnies“ einprägsamer. Mit „Halo Effect“ folgt der erste wirklich untypische Track. Der Song geht fast schon in die College-Rock/US-Alternative-Rock-Schine, ist aber gut komponiert und kommt mit ein paar schönen Schlenkern („Weather With You“/“Losign My Religion“-Mandolinen-Gedächtnisteil in der Mitte) und Melodien im Gepäck sehr ansprechend daher. Im Anschluss dann der nächste Kracher: In „Seven Cities of Gold“ strahlen die „alten“ Rush wieder aus allen Nähten dieses typischen Rockers, vor allem über die Gitarrenarbeit. Überhaupt ist dies die Platte des Alex Lifeson. Mit seinen Signature-Sounds, -Riffs und Kniffen macht er nicht nur diese Nummer zu einem Fest aller Connaiseure der rockigen Mitt-70er-Phase im Bandkatalog. Er schlägt den Bogen von „Working Man“ über „2112“ bis hin zu „Spirit of Radio“ oder „Red Barchetta“. Hammergeil! Das folgende „The Wreckers“ ist wieder irgendwie untypisch und dann doch wieder nicht. Der luftig-entspannte Grundgroove erinnert mich irgendwie an (nicht lachen! – ist positiv gemeint) „Supergirl“ von Raemonn mit U2-Gitarren und Simple Minds-Vibes. Getoppt von einem der schönsten Refrains in der Rush-Geschichte überhaupt. Tolle Nummer. Danach wird in „Headlong Flight“ uptempo gerockt, was das Zeug hält. Hier ist der Furor, der einst vor allem Neil Peart befeuerte, noch am ehesten spürbar. Es folgt ein kleines Interludium, „BU2B2“ benannt (vollkommen unspektakulär, zudem von Geddy wirklich ziemlich schlecht „gesungen“ – das hätten sie, wenn’s nicht unbedingt zur Story beiträgt, instrumental oder einfach weg lassen sollen), welches zu den beiden ruhigeren Abschlußnummer führt: „Wish Them Well“ ist ein entspannter Groover mit allerdings genügend Arrangement- und Produktionsdetails, die ihn über Mittelmaß hinausheben und mündet in die Abschlußballade „The Garden“, bei der nochmal ordentlich Dramatik und Pathos mit grandiosen Melodien völlig unkitischig zu einem würdigen Schlußpunkt aufgetürmt werden.

Eigentlich ein Konzeptalbum, liegt dem Werk eine Story aus der Feder von (logisch) Neil Peart zugrunde. Ein Junge auf dem Weg zur Erfüllung seiner Träume, in diversen Abenteuern aufgerieben zwischen den Kräften des Chaos und der Ordnung, sucht er seinen individuellen Weg in einer fiktiven Welt des „Steampunk“ (eine Art Fantasy/Science Fiction Genre, dass auf den Werken von H.G. Wells und Jules Verne fußt), in der von der „Regierung“ des Watchmakers alles aufs minutiöseste durchorganisiert ist und eben keine Freiraum für individuelles Gedankengut vorhanden ist. Genaueres kann man im Web überall nachlesen. Mit dem Science Fiction-Autor Kevin J. Anderson arbeitet übrigens ein alter Freund von Neil an einer Roman-Umsetzung der Story. Wie in der Musik finde ich die Texte bzw. die Geschichte für Neils Verhältnisse ein wenig zu „einfach“ (ich möchte hier nicht „platt“ sagen, das trifft es nämlich nicht ganz). Etwas mehr kryptische, elegant verwobene „Lyrik“ wie sonst hätte es für mich schon sein können.

Insgesamt muss man konstatieren, dass „Clockwork Angels“ für Rush-Verhältnisse  ein sehr straightes Rockalbum geworden ist. Ein wenig mehr synkopischer Wahnsinn und ein (wie früher) entfesselter auftrumpfender Neil Peart wäre hier  durchaus wünschenswert gewesen. Trotzdem steht immer noch das eingangs erwähnte Fazit fest: Bestes Rush-Album seit „Counterparts“. Und das ist mal mehr als ich erwartet habe. In der augenblicklichen Begeisterung würde ich gerne 9 Punkte geben (wären es ohne die beiden anfänglichen Ausfälle beim Songwriting auch), aber ich denke mal, im Kontext des an absoluten und Beinahe-Klassikern reichhaltigen Bandkatalogs würde das anderen 9-Punkte-Alben nicht ganz gerecht werden und vergebe begeisterte:

(8,5 Punkte)