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MALPRACTICE – Turning Tides

~ 2014 (Sensory/Alive) – Stil: Prog Metal ~


Kein Rock`n`Roll, kein Power Metal und trotzdem kommen MALPRACTICE aus Finnland….! Prog Metal, und hier sei ausdrücklich auf das „Metal“ hingewiesen, ist die Spielwiese der Finnen. Die Mucke klingt furztrocken, teilweise finde ich die Produktion schon sehr staubig….was aber wohl der Musik gezollt ist. Und die macht es einem nicht leicht. Übermäßig verproggt klingt das nicht, man setzt jedoch vielfältige Rhythmus- und Geschwindigkeits-Parameter ein um einen eigenen Sound zu entwerfen. Den hat man zum Teil, das liegt aber allerdings an dem (für meine Begriffe) unangenehmen-unmusikalischen Gesang von Aleksi Parviainen. Er hat zwar auch seine guten Momente wie im Mittelteil des überlangen Titeltracks (15 Minuten!!), aber in seiner Gesamtheit finde ich ihn nervig, weil deutlich zu emotionslos.

Tendenziell liefern MALPRACTICE einen Mix aus THRESHOLD, DREAM THEATER und ELDRITCH. Also nichts Neues. Das ANACRUSIS angehauchte `Symphony Of Urban Discontent` gehört deutlich zu den interessanteren Tracks des Albums. Das etwas Power Metal-lastige `Out` könnte so gut sein, wenn…dieser monotone, langweilige Gesang nicht wäre. Neues sucht man vergeblich, man verliert sich in den eingetretenen Pfaden des Prog Metal Genres. Ein harmloses Album mit nur wenig guten Passagen, das nur bedingt überzeugen kann.

(6 Punkte) Jürgen Tschamler

 

Wundervoll. Einfach nur formidabel … Nun, da der Kollege wohl anscheinend mit diesem Album zur falschen Zeit am falschen Ort lustwandelte, muss notgedrungen der ProgMaster eingreifen, um die vorhandenen Fakten etwas zurecht zu rücken.

Natürlich erfinden MALPRACTICE den Prog-Metal nicht neu und fügen auch nicht unbedingt neue Trademarks hinzu. Doch auf solchen Trademarks ruhen sich aber andere, DREAM THEATER, THRESHOLD und Konsorten eingeschlossen, bereits seit Jahrzehnten mehr als nur gemütlich aus. Was dieses Album so herausragend erscheinen lässt, sind schlicht und einfach die Lieder an sich. MALPRACTICE schaffen es, ebenso wie zuletzt APPEARANCE OF NOTHING, dem Hörer formvollendete Hooks anzubieten, bleiben aber soundmäßig eher um die Jahrtausendwende verhaftet, sehen also moderne Affinitäten als vollkommen entbehrlich an. Sie sind freilich nur beinahe so hook-verliebt wie ANUBIS GATE, widerstehen in dieser Königsdisziplin dagegen durchgehend jeder poppigen Versuchung. Dazu einen knackig, proggigen Sound, der keinerlei bombastische Adern benötigt – so wie es Freunde des 90er Progs, also auch gerne mal etwas trockener, mehr als nur schätzen gelernt haben.

Mit ´Best Kept Secret´ steigen sie fast konzept-mäßig, mit erzählenden Versen, in das Album ein, legen aber umgehend PAIN OF SALVATION-like die Messlatte ganz weit nach oben. `Weight Of The World` ist das erste Hook-Monster, das neben den bereits erwähnten ANUBIS GATE wohl nur Skandi-Progger erschaffen können. Während `Irony Tower` mit tieferen Gesangparts spielt, so dass sich teilweise eher die Frage nach zu viel Abwechslung im Gesangsarrangement des Albums stellt, und sogar eine Verführung für den frühen LEPROUS Verehrer darstellt, zieht `State Within A State` alle klassischen Register, während der Connaisseur dabei lyrisch sogar fast schwelgerisch an MERCURY RISING denkt. Wenn Sänger Aleksi Parviainen in den Strophen von ´Out´ etwas monoton singen mag, dann geschieht dies wohl ganz bewusst, was sein facettenreicher Gesangsvortrag im weiteren Songverlauf mehr als nur klar stellt.

Allein in den instrumentalen Parts des Titeltracks können vereinzelt DREAM THEATER Anklänge ausgemacht werden. Dabei ist ´Turning Tides´ ein wunderbarer Longtrack, einer der besten des Jahres überhaupt, der niemals nur um der Idee willen aus der Spur läuft, sondern durchgehend die Spannung aufrecht erhält sowie den Song an sich fortführt, inklusive himmelergreifenden Höhepunkten. Diese dürfen dabei überschwänglich genossen werden, ohne sie, wie in anderen Fällen, erst im Sounddickicht suchen zu müssen, um dann letztlich nur einen kleinen Funken ausfindig zu machen. Hier brennen die auflodernden Funken ein Feuerwerk ab.

(9 Punkte) Michael Haifl