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BLUT AUS NORD – Deus Salutis Meae

~ 2017 (Debemur Morti Productions) – Stil: Abyssal Ambient / Black Metal ~


„Domine Deus salutis meae die clamavi et nocte coram te.”
„Herr, du Gott meines Heils, zu dir schreie ich am Tag und bei Nacht.“

Der titelgebende 88. Psalm ist ein Klagegebet in größter Verlassenheit und Todesnähe. Ein einsamer, kranker und verzweifelter Mensch schreit Todesangst und Schmerzen heraus zu seinem Gott, von dem er genauso verstoßen wurde wie von seinen Angehörigen und Freunden. Er sieht sich bereits zwischen Erschlagenen in die tiefsten Grube geworfen, von finsterer Nacht umgeben, und fragt sich nur noch, ob es für ihn eine Hoffnung durch Erlösung, Wiederauferstehung geben kann. „Mein Vertrauter ist nur noch die Finsternis“ – und ich befürchte, genau dies ist Vindsvals Losung für das zwölfte Komplettalbum der französischen Black Metal-Erneuerer. Auch der Hörer wird um Erlösung bitten, wenn er in diese fast unerträgliche, grenzwertig unhörbare und dennoch, wie üblich, trotzdem faszinierende Platte eintaucht.

Nach Abschluss der beiden ´Memoria Vetusta’-und ´777’-Trilogien wird nach 23 Jahren Bandbestehen wieder einmal ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen, und um es vorwegzunehmen: die großen, epischen, (Gitarren-)Melodien, eingebettet in und getragen von flirrenden Layers gewoben aus mantrenartig wiederholten und variierten Sätzen diverser Saiten- und Tasteninstrumente, wie man sie von „diesen“ BLUT AUS NORD kennt, gibt es nicht mehr. Was sich bereits bei der letztjährigen Split ´Codex Obscura Nomina’ abzeichnete, wird hier auf ein neues Level gehoben: Melodie, Harmonie? Fehlanzeige. Nicht einmal in den instrumentalen Parts, nirgends.

Pure Dissonanz regiert über eine Kakophonie helikopterartig an- und abschwellender, meist langsam stampfender Maschinengeräusche, greller, an Folter gemahnender furienartiger Schreie und unverständlich hallender Echos ritueller Beschwörungsformeln dunkler Mächte. Ein Mahlstrom der Zerstörung. Wo befinden wir uns hier? In einer Höhle? Falsch. Bereits tief in der Hölle. Und, wir ahnten es bereits, diese ist menschgemacht. Gedanken an Celans ´Todesfuge’ drängen sich auf.

Die wenigen erholsamen Phasen erleben wir in den kurzen instrumentalen Zwischenspielen (´Gnosis’), doch plötzlich attackieren gottlose Wespenschwärme unsere Ohren (´Impius´), schon werden wir in den abscheulichen Höllenpfuhl geworfen und mit glühenden disharmonischen Riffs gemartert – die Krise (´Apostasis’) besteht aus einem Wechsel von Blastbeat-Gewittern und langsamen, strukturierteren Parts, Gitarren winden sich in symphonisch-schmerzvollem Wahnsinn, im Hintergrund findet eine widerwärtige Anrufung in babylonischem Stimmenwirrwarr statt, doch irgendwann findet alles irgendwie doch noch zu einer Ordnung. Denn nun tritt der Fürst des Abyss (´Abisme’) selbst auf, in einem der ausgeprägt rhythmischen, sehr langsam stampfenden Stücke wird ihm mit überraschend schönen, vielstimmigen Chören gehuldigt -,der eingängigste Song bisher, so etwas kann möglicherweise auch der SAMAEL-Fan goutieren. Doch ab dann wird es äußerst anstrengend bis zermürbend, gespenstische, tranceartige Zerrklänge, Stimmen verlorener Kinder wirbeln um den Hörer herum, bisher noch erahnbare Strukturen lösen sich vollends auf, die Offenbarung (´Revelatio’) bringt für mich kein Licht ins Dunkel (´Èx Tenebrae Lucis’), und irgendwann ist es auch genug mit der Buße (´Metanoia’), denn die Ambient- und Noise-Versatzstücke wiederholen sich, werden austauschbar und bringen die Stücke damit fast an die Grenze zur Belanglosigkeit. Und nach einer guten halben Stunde ist dann auch ganz plötzlich alles vorbei. Exitus.

Dieses Album ist noch wesentlich extremer und abseitiger als das bisherige Schaffen von BLUT AUS NORD, und kann damit als Zeichen unserer Zeit, sogar als Prophezeiung gedeutet werden. Es vereint bedrängende Black Metal-Wurzeln mit psychedelischem Industrial und noisy Ambient, treibt diese unheilige Allianz auf die Spitze und eröffnet damit einen musikalischen Blick in abstoßende, widerwärtige (menschliche) Abgründe. Nur zu empfehlen für hartgesottene Hörer mit hohem Resilienzfaktor!

(7 nostalgische Punkte)

https://www.facebook.com/blutausnord.official