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BILL CALLAHAN – Dream River

2013 (Drag City/Rough Trade) – Stil: Singer/Songwriter


Die Fensterläden des Baumhauses knarren bedrohlich. Kein nicht vorhandenes Glas dahinter kann den eisigen Ostwind davon abhalten, in die karge Bude zu blasen. Kräftig werden die dicksten Äste gar durchgeschüttelt, die Blätter rascheln fortwährend im Wind. Auf der Veranda wird es ungemütlich, doch ich harre aus und warte auf meinen leidigen Nachbarn, der noch vorbeischauen wollte. Endlich, die Dunkelheit hat schon das Augenlicht träge gemacht, erscheint der erwartete Besuch zur nächtlichen Stunde. Glücklicherweise trägt der fromme Mensch einen kleinen Topf durch die Finsternis direkt zu mir. Sogleich erzählt er von den wundervollen Pilzen, die er zuerst zerkleinert und dann in einer körnigen Brühe hat aufweichen lassen. Pilzsuppe wird heute unser Leibgericht sein. Später, kündigt er schon an, soll es noch ein Pilz-Omelett geben, obwohl die Hitze dabei für die Pilze nicht unbedenklich erscheint, kann sie doch die schönen Substanzen zersetzen. Wir lassen uns sogleich darnieder und löffeln die nicht unangenehme Suppe aus. Kein Genuss, aber etwas Labsal für den geschundenen Körper.

Aus einem roten Jutebeutel zieht mein Nachbar plötzlich das Vinyl von `Dream River`, dem mittlerweile vierten Werk des Texaners BILL CALLAHAN. Unter dem Namen SMOG brachte er zwar schon seit Beginn der 90er Alben heraus, doch erst jetzt scheint er in der Blüte seiner Schaffenskraft zu stehen, da allein seine vorherigen Werke `Sometimes I Wish We Were An Eagle´ und ´Apocalypse´ als meisterlich bewertet werden müssen. Die Plattennadel hebt sich gerade rechtzeitig empor, so dass wir nun BILL CALLAHAN feierlich auflegen können. Und dessen Erzählungen entsprechen sogleich unserer Stimmung. „Drinking while sleeping“, sind die ersten sonoren Worte, die vorzüglich und vertraut an unser Ohr dringen, denn allein über diese drei Wörter sollte eigentlich erst einmal sinniert werden. Doch Zeit ist nicht vorhanden, da CALLAHAN sich in einer Hotel-Bar wähnt, während wir die Verdauung und Auswirkungen der Pilzsuppe auf dem Baumhaus überstehen müssen. CALLAHAN ist in meisterlicher Stimmung und setzt die Maßstäbe für den Tag und die Nacht: „The only words I’ve said today are beer … and thank you … beer… thank you … beer… thank you … beer…“. Die Instrumentierung ist wieder üblicherweise minimalistisch gehalten, wird aber durch Flöten, Congas sowie Fiddle und Wurlitzer abwechslungsreich gestaltet. Auch hier bricht gleich im ersten Song, wie so oft im späteren Verlauf, die Gitarre aus. Es ist eine wahre Freude, nicht den Erzählungen zuzuhören, sondern eher BILLs Gitarreneruptionen zu genießen. Selten hat der Hörer solch ein Feuerwerk mit der Gitarre bei einem Singer/Songwriter erleben dürfen. Bei `Javelin Unlanding` kann sich mein Nachbar beim mittrommeln nicht mehr zurückhalten, während ich versuche die Gitarre flimmernd und vibrierend nachzuahmen. CALLAHAN gleitet in solch emotionalen Momenten einfach ab, wie es sonst nur große Meister wie NEIL YOUNG, aber auch SANTANA und RORY GALLAGHER schaffen. Während ich aus dem Fenster durch den bloßen Rahmen schaue, spielt sich CALLAHAN in `Spring` langsam in Fahrt. „With a careless mind“, fangen die Boxen an zu rumpeln. Ist es der Wind oder die orgastisch explodierende Gitarre? Die Flöten passen sich ruhig unserem windigen Wetter an, mein Nachbar kommt dem Rhythmus kaum hinterher, bis die Gitarre wieder bebt und zittert. Das Baumhaus fängt an zu schwanken. Die Bilder verschwimmen vor meinen Augen. Ein immenses Feuer brennt vor der Veranda lichterloh. Mein Nachbar scheint um Glut und Flammen des Feuerhaufens herum zu tanzen und zu hüpfen. Die Vögel auf den Ästen scheinen Congas zwischen den Flügeln zu halten, während ein Kuckuck von Ast zu Ast hüpft und auf die Congas pickt und hackt, pickt und hackt. Zu `Ride My Arrow` schaffe ich es noch die imaginäre Gitarre zu zupfen, doch als die Flöten pfeifen, die Gitarre berstend in den dunkelsten aller dunklen Himmel schreit, kommen die Biber, sie wollen mich fassen. „Beavers build dams all around me“, singt BILL CALLAHAN, doch die über dem Feuer durch die Luft hüpfenden runden Geschosse entpuppen sich nur als neue Omelett-Variante meines Nachbarn. Die Luft oszilliert. Meine Schläfen pulsieren. „I have learned when things are beautiful, to just keep on, just keep on“, singt mein Nachbar mit, als er sein Omelett fertig präsentiert. Ich starre in seine Augen, die von weit oben zu mir nach unten starren. „Just keep on“, ja, es war schön. Mehr als beautiful. Die Gedanken entfliehen ….

(9 Punkte)