Redebedarf

DAGOBERT

~ Interview mit Dagobert ~


Der Schweizer Sangesbarde DAGOBERT hat einen vielfältigen und oftmals erlesenen Musikgeschmack. Zu seinem zweiten Album ´Afrika´ (siehe hier) durfte überraschenderweise ein gewisser Mille Petrozza einige Gitarrensoli beisteuern. 

Als sich DAGOBERT nun beim neuen KREATOR-Album ´Gods Of Violence´ (siehe hier) ebenfalls einbrachte, war es an der Zeit, die Zusammenhänge aufzuklären.

Dagobert, ich darf doch Dagobert sagen?

Klar. So heiße ich.

Aber eine innigere Beziehung zu dem grämlichen Geizhals aus Entenhausen besteht nicht?

Doch. Definitiv. Ich bin ja mit den ‚Lustigen Taschenbüchern‘ aufgewachsen. Das ist eigentlich noch untertrieben, im Grunde genommen habe ich mein komplettes (zugegebenermaßen nicht sehr umfangreiches) Allgemeinwissen aus den Dingern gezogen, weil ich die ersten paar hundert Bände wohl an die zehn mal durchgelesen habe. Und mit der Dagobert-Figur konnte ich mich immer am besten identifizieren. Der hatte nicht nur einen guten Stil, mir hat vor allem imponiert, mit welch skrupelloser Leidenschaft er sein ganzes Leben dem einen Ziel unterworfen hat, immer mehr Geld anzuhäufen. Geld an sich ist mir natürlich komplett egal, aber wenn man es durch Musik ersetzt, kommt man meiner Lebenseinstellung schon ziemlich nahe.

Geld im Überfluss, also sinnbildlich Musik im Überfluss ist jedoch nicht erquickend, wenn ich an das Gros aktueller, populärer Musik denke…

Ich meinte auch bloß Musik, die ich selber mache, davon will ich mir einen ordentlichen Speicher zusammenschreiben. Und ich halte es für vollkommen sinnlos, sich über die teilweise unangenehme Musik von heute zu ärgern, wenn man sich doch durch die ganze Geschichte hören kann, die nun wirklich einiges zu bieten hat.

Aber wieso hast Du nicht, so wie ich und viele Menschen, den liebenswerten, tollpatschigen und manchmal cholerischen Donald geliebt? Den plagten zwar Geldnöte, dennoch war er glücklich, aß zehn Pfannkuchen auf einen Schlag und wurde sogar als Phantomias zum Superhelden…

Donald mag ich natürlich auch, aber als Kind habe ich oft geträumt, ich sitze bewaffnet bis auf die Zähne an meinem Schreibtisch in meinem Geldspeicher und bin Dagobert Duck. So was verbindet. Außerdem wechseln beide Charaktere gerne schnell und oft von totaler Glückseligkeit zu abgrundtiefer Niedergeschlagenheit und zurück.

Der Kaufhauserpresser, der zwischen 1992 bis 1994 unter dem Pseudonym ‚Dagobert‘ Berühmtheit erlangte, steht aber in keinem Verwandtschaftsverhältnis?

Irgendwie doch. Zumindest haben wir den gleichen Manager. Er war letztens auch auf einem Konzert von mir. Ein sehr sympathischer Mensch.

 

 

Lebst Du aktuell eigentlich noch in Berlin?

Meistens schon. Zurzeit nehme ich in Berlin auch ein neues Album auf.

Zieht Dich also im Moment nichts in die Heimat zurück?

Die Schweiz kenne ich ja schon, da zieht mich eigentlich nichts zurück. Spannender fände ich es, ein paar ganz neue Klimazonen auszukundschaften, aber dafür ist noch Zeit.

Welche Klimazonen schweben Dir denn vor?

Bisher habe ich Europa noch nie verlassen, da gibt es noch viel zu entdecken, am meisten reizt mich die Südsee. Aber eigentlich auch so was wie der Mars. Wenn plötzlich die Medizin so große Fortschritte macht, dass ich tausend Jahre alt werde und die Raumfahrt in der Zeit auch ein bisschen ausgeklügelter ist, kommt es vielleicht noch dazu. Besonders realistisch ist das natürlich nicht, aber das macht ja nichts.

Aber momentan magst Du lieber hohe Häuser als hohe Berge?

Auf keinen Fall. Die Natur ziehe ich der Zivilisation grundsätzlich vor. Aber Veränderungen sind für mich wichtig. Mein Leben verläuft in Phasen. Gerade bin ich noch in meiner Berlin-Phase. Was als nächstes kommt, weiß ich nicht.

Wird man also später bei Deiner Berlin-Phase wie bei Bowie, der in seiner Berlin-Zeit ´Low´ (1977), ´Heroes´ (1977) und ´Lodger´ (1979) aufnahm, ebenso von Deinen Meisterwerken und Glanzzeiten sprechen?

Ich glaube nicht, dass ich meinen kreativen Höhepunkt schon erreicht habe, aber was eventuell so geschrieben werden wird, ist sowieso nicht besonders relevant in meiner Gegenwart.

Wenden wir uns der Vergangenheit zu. In welchem Alter hattest Du eigentlich das erste Instrument in der Hand?

Mit neun habe ich mit Schlagzeug angefangen.

Und danach war Dir sofort klar, dass Du Musiker werden willst…

Ich hab direkt eine Rockband gegründet und Songs geschrieben mit möglichst brutalen Texten. Das hat Spaß gemacht, aber ich musste es wieder aufgeben, weil die Schulpflicht dazu geführt hat, dass sich neben ihr jede andere Tätigkeit wie ein Hobby anfühlte. Das hat die Freude an der Musik irgendwie vergiftet und dafür mochte ich die Musik viel zu sehr. Es war eine schreckliche Zeit.

Warst Du aufgrund des Frustes ein mieser Schüler?

Ne, ich war nicht schlecht, ich wusste, dass die Zeit irgendwann zu Ende gehen würde. Darauf habe ich all die Jahre gewartet und den Quatsch einfach mitgemacht, half ja alles nichts.

Du sollst sogar einst ein gut dotiertes Kulturstipendium erhalten haben. Wie gut war dies investiert?

Sehr gut. Ich hab mir einen schönen Frack schneidern und es mir in Berlin ein halbes Jahr gutgehen lassen.

Vor Deinem Debüt hast Du Dich ja angeblich fünf Jahre lang in die Berge zurückgezogen. Brauchtest Du eine Auszeit von Berlin oder von den Frauen?

Eine Bleibe habe ich gebraucht! Und da der gerade verstorbene Großvater meines Schwagers ein Haus in einem winzigen Schweizer Bergdorf hinterließ, habe ich es sozusagen einfach besetzt. Außerdem habe ich mich bis zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wirklich als Musiker gefühlt, mir ging es darum, ohne Ablenkung auszuloten, ob ich dazu auch wirklich berufen bin. Na, und das Ergebnis dieser fünfjährigen Untersuchung war dann letztlich positiv.

Unterschied sich die Musik, die Du dann in der Abgeschiedenheit komponiert hast, von Deinem vorhergehenden Songwriting?

Wesentlich. Davor habe ich sehr unbeholfenen, experimentellen Krach gemacht. Es hat lange gedauert, bis ich vom Komponieren eine Ahnung gekriegt habe, aber wenn man sich mit einer Sache dermaßen lange und stoisch auseinandersetzt, eignet man sich eben zwangsläufig ein paar Skills an.

 

 

Aber die SCORPIONS, sozusagen die deutschen JUDAS PRIEST, zählen schon zu Deinen Vorbildern?

Die waren wichtig. Die SCORPIONS waren mein Zugang zur Musik. ´Wind Of Change´ hat damals wirklich mein Leben verändert, deswegen hatte ich angefangen, Schlagzeug zu spielen und Songs zu schreiben. Aber vor allem konnte ich Musik zum ersten Mal richtig genießen. Die SCORPIONS haben mir die Tür zu einer sehr viel schöneren Welt aufgemacht.

Wirst Du bei deren allerletzter Abschiedstournee, wann auch immer sie stattfindet, anwesend sein?

Ich war schon 2010 auf Ihrer Abschiedstour. Die Tatsache, dass inzwischen Mikkey Dee dabei ist, macht aber tatsächlich wieder Lust auf ne SCORPIONS-Show. James Kottak hielt ich immer für eine Fehlbesetzung am Schlagzeug.

Immerhin ist er mit den großartigen, aber als LED ZEPPELIN-Clones verschrienen KINGDOM COME berühmt geworden. Mit einem deutschen Sänger…

Die kenne ich nicht. Der kann ja auch gut trommeln, keine Frage, sein Stil hat meiner Meinung nach bloß nicht zu den SCORPIONS gepasst.

Die FLIPPERS sind für Dich die ROLLING STONES des Schlagers. Warst Du auf deren Abschiedstournee, damals zwischen November 2010 und März 2011, zugegen?

Auf die FLIPPERS bin ich erst nach deren Auflösung gestoßen. Mein Fantum wird auch gerne medial übertrieben, aber ja – ich mag die FLIPPERS.

Aber wieso, aufgrund großartiger Lieder, geilster Pyro-Shows?

Ich habe damals zufälligerweise das Abschiedskonzert von Berlin im Fernsehen gesehen. Als erstes hat mich diese unfassbar psychedelische Bühnenshow gekriegt, dann der doch sehr einzigartige Stil von den drei Jungs, dann die ehrliche Wärme Ihrer Musik. Und dass die gute Songs im Gepäck haben, kann man ja wirklich nicht leugnen.

Willst Du später in diesem hohen Alter auch noch auf der Show-Bühne stehen?

Klar. Die beste Beschäftigung wird für mich immer das Schreiben sein. Nichts gibt mir ein besseres Gefühl. Aber hin und wieder ein Konzert muss auch sein.

 

(Foto: Steffen Schmid / www.gig-blog.net)

 

Seit wann turnst Du gemeinsam mit Mille oder verkehrt Ihr nur zufällig in denselben Clubs?

Wir haben uns vor drei Jahren auf Kay Shanghais Geburtstag in Essen kennengelernt.

Wer ist denn Kay Shanghai?

Ein guter Freund und ziemlich legendärer Clubbetreiber aus Essen. Nirgendwo hab ich so oft gespielt wie in seinem Hotel Shanghai. Ein herrlicher Laden.

Seid Ihr, Mille und Du, vielleicht auch nur schlicht Veganer, die in Hotels Rezepte austauschen?

Ich bin ja wegen Mille erst Veganer geworden. Das heißt, eigentlich war ich es schon immer, aber ich hab immer wieder Ausnahmen gemacht, um nicht irgendwelche nett gemeinten Einladungen ablehnen zu müssen. Aber seit ich ihn kenne, finde ich es völlig in Ordnung zu sagen: „Eure toten Tiere müsst ihr selber essen.“

Wieso braucht der Veganer aber beispielsweise vegane Schnitzel, ist das Aussehen für den Kopf wichtig? Ich ziehe Tofu-Burger aus Rinderhack vor…

Keine Ahnung wer so ein Zeug isst, ich sicher nicht.

Zu welchem KREATOR-Album fand Dein Erstkontakt mit der Band statt oder hast Du sogar damals das ´Endless Pain´-Vinyl gekauft?

Als ´Endless Pain´ rauskam, war ich gerade mal drei Jahre alt. Seltsamerweise kannte ich KREATOR überhaupt nicht, bis ich Mille kennenlernte. Um das nachzuholen, habe ich mir dann erst mal ´Phantom Antichrist´ gegeben. Ja, und das war ein richtiger Mindblast. Nach all der Musik, die mir in meinem Leben schon so wichtig war, erst mit 31 diejenige zu finden, die mich am allermeisten begeistert, war schon ein einschneidendes Erlebnis. Ich konnte dann nicht anders, als ein Jahr lang jeden Tag fünf, sechs Stunden KREATOR zu hören. Es musste sein. Diese Musik ist immer noch meine geistige Hauptnahrung.

Dass Mille Dir bei ein paar Gitarrensoli auf ´Afrika´ aushelfen konnte, ist leicht zu verstehen, aber dass Du mit einem Thrash-Gitarristen Songs schreibst, wie auf dem neuen KREATOR-Album geschehen, musst Du uns näher erklären.

Mille schreibt seine Sachen alle selbst. Was er macht, kann auch kein anderer, ich schon gar nicht. Wir sind halt Freunde und hängen zusammen ab, tauschen uns aus und da kann es passieren, dass ich mal ne Idee habe, die er in seine Songs einbaut. Aber die meisten von meinen Ideen eignen sich dazu nicht. Ha ha. Bei ´Fallen Brother´ wollte er noch ein deutsches Gedicht zum Thema Tod in den C-Teil einbauen, das hab ich Ihm dann natürlich gerne geschrieben.

 

(Foto: Lukas Mäder)

 

Wie gehst Du momentan das Songwriting an, warst Du mal wieder in den Bergen?

Ne, ich kann auch in Berlin schreiben, da ist mein Output zwar kleiner, weil die Ablenkung grösser ist, aber an Songmaterial mangelt es mir ja eh nicht zurzeit. Außerdem habe ich gerade einen guten Lauf und bin ziemlich produktiv.

Dennoch wird Dein kommendes Album, trotz der neuen geistigen Hauptnahrung, eher unmetallisch?

Bloß weil ich diese Musik mag, muss ich sie ja nicht selber spielen. Den Fehler machen meiner Meinung nach viele Bands, sie kopieren irgendeinen Stil, der ihnen gefällt und sind dann zwangsläufig schlechter als das Original und folglich vollkommen überflüssig. Ich bin kein Künstler, der in irgendeiner Tradition steht, sondern habe für mich herausgefunden, was mir am meisten liegt, und das ist kein Metal.

Eine löbliche Einstellung. Allerdings dachte ich, Deine Planungen sehen bei Dir selbst bereits Album Nummero drei, vier, fünf und erste Live-Alben vor. Doch die Zeit verstreicht. Ist uns da etwa eine Frauen-Geschichte dazwischen gekommen?

Daran liegt es nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich öfter Alben veröffentlichen, aber das ist immer auch so eine politische Organisationsschlacht, in die mehrere Firmen involviert sind, mit denen man sich erst mal über alles Mögliche einigen muss. Das dauert halt.


Portrait-Pic: Sandra Schuck