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GROBSCHNITT – Jumbo

1975 (Brain 1076), 2015 (Brain, Universal Music)

1976 (Brain 1081), 2015 (Brain, Universal Music)


Nach ´Ballermann´ servierten GROBSCHNITT ihrer Fanschar zwar kein weiteres Doppelalbum, veröffentlichten aber dennoch zwei Alben kurz hintereinander: `Jumbo´ erschien im September 1975 und sein Zwilling, die deutsche Fassung, im April 1976.

Die Band wagte damit das Experiment, dasselbe Album mit ausschließlich deutschen statt englischen Texten zu veröffentlichen. Bis auf IHRE KINDER, die als Pioniere der Rockmusik mit deutschen Texten gelten, war deutsche Lyrik in Verbindung mit harten Klängen in diesen Jahren eher selten anzutreffen.

Außerdem musste die Band vor dem Studiotermin eine Umbesetzung verkraften, da Bassist Bär durch Popo, später auch Hunter genannt, ersetzt wurde. Ebenso machte sich der Einfluss von Keyboarder Mist immer stärker bemerkbar. So wurde mit diesem Werk erstmals eine kleine Zäsur eingeleitet, tendierten GROBSCHNITT nunmehr sehr stark in Richtung sinfonischem Prog, wie es dem Zeitgeist und den englischen Vorreitern von GENESIS und YES entsprach. Die Psych- und Space-Sounds wurden weitestgehend aus dem Bandsound entfernt und auch die geringe Eingängigkeit der Lieder bereitete den Fans der ersten Stunde etwas Probleme. Die Spielzeit des Albums war mit knapp über einer halben Stunde – bei zwei Longtracks und zwei kürzeren Liedern – zudem etwas kurz gehalten. Der Humor kam jedoch weiterhin nicht zu kurz, priesen doch diese Werbetrailer vorab das neue Album an:

Hei.
Ich bin der Grobschnitt-Jumbo,
bring Musik euch ins Haus,
drum wetzt mal schnell die Nadel,
und legt mich schleunigst auf.

Viele schöne Lieder,
hab ich für euch bereit,
wenn ihr mich noch nicht kennt,
ja, dann wird es höchste Zeit.

Die Spaßfamilie Grobschnitt,
die zeigt euch was sie kann,
drum holt euch schnell den Jumbo,
und hört ihn fleißig an.

Der kurze, humorvolle Einstieg in das Album (´Jupp´) und der Abgang aus diesem (´Auf Wiedersehen´) waren genauso offensichtliche Beispiele ihres Humors. „Wir nehmen kein Rauschgift wie manche andere, wir lachen lieber“, erwähnte einmal Toni Moff Mollo sehr treffend. Dazwischen befinden sich vier vorzügliche Lieder, die rein musikalisch der Ernsten Musik genügten.

´The Excursion Of Father Smith´ bzw. ´Vater Schmidts Wandertag´ ist ein langer, wundervoller 70s Prog-Song, der mit Laut-Leise-Dynamiken prahlen kann und von Mists Orgelspiel sowie Lupos neuen Gitarrenfertigkeiten lebt. Der Humor blitzt aber auch hier kurz in den Backgroundgesängen, nicht stumpf, sondern eher großartig Monty Python-ähnlich, auf. Wundervolles Hi-Hat-Spiel von Eroc und zum Ende hin eine singende Gitarre krönen das Lied. Die liederöffnende Textzeile ´Heut‘ ist ein schöner Tag´ wurde zum Slogan aller GROBSCHNITT-Fans. Deutsche Gruppen wie ELECTRA und LIFT sollten in der Folgezeit einem ähnlichen Stil frönen. Insbesondere STERN-COMBO MEIßEN dürften bei der Schöpfung ihres Klassikers ´Der Kampf um den Südpol´ entweder ´ Vater Schmidt’s Wandertag´ gekannt oder auf ihrem Werk ´Weißes Gold´ dieselben Vorbilder verarbeitet haben. Ein Klassiker.

Die flotte Nummer `The Clown´ bzw. ´Der Clown´ offeriert einen teils entfesselt aufspielenden Lupo. Die Melodien werden sich von den Instrumenten gegenseitig zugerufen, Mist folgt seinem Idol Tony Banks und alle obendrein einem klasse Rhythmus. ´Dream And Reality´ bzw. ´Traum und Wirklichkeit´ ist dagegen ein Seelenschmeichler mit einem wunderbaren Wildschwein hinterm Mikrofon. Teilweise driftet Lupo hier sogar gen ALLMAN BROTHERS ab.

Ist die Vorstellung vorüber, löscht ein Mann das Rampenlicht
Mit dem Ärmel vom Pullover wischt er Schminke vom Gesicht
Seht, ja das ist er, weinend wie ihn keiner kennt
Er darf erst Mansch sein, wenn kein Licht mehr brennt

Der zweite große Höhepunkt ist der letzte Song ´Sunny Sunday’s Sunset´ bzw. ´Sonntags Sonnabend´. Eine unheimlich packende Stimmung wird durch Steigerungen von sanften Keyboards, über die Hinzunahme der Gitarre, bis Wildschwein anfängt zu singen, erzeugt. Nach einem Break folgt der Song einer melancholischen Atmosphäre und als Lupo anscheinend einen falschen Ton spielt, entfährt ihm ein leises „Oh! Scheiße!“. Während ´Sunny Sunday’s Sunset´ in trüben Gedanken einer alten Liebe hinterhertrauert, beschreibt ´Sonntags Sonnabend´ gänzlich anders das bürgerlich triste Leben in der Vorstadt. ´Vater Schmidts Wandertag´ ist ebenfalls in der deutschen Version eine offensichtlich Fortschrittskritik, eine Vision über den Wochenendausflug in einen Kunststoffwald mit Rollbändern statt Gehwegen, künstlichem Tannenduft und einer Ess-Mischung für das Picknick.

„Ja, also das war jetzt das vier – äh, nein, das dritte Album von der Gruppe Grobschnitt. Und es war für alle, die daran mitgemacht haben, ein großer Spaß und viel Vergnügen und alle hoffen, dass es nicht das letzte Album gewesen ist. Äh, bis zum nächsten Mal möchten wir alle Leute grüßen, die barfuß gehen mit einem kräftigen “auf Wiederseh’n”…“

´Jumbo´ und ´Jumbo D´, auf der Remastered-Version von 1998 noch zusammen auf einem Silberling veröffentlicht, sind separat erhältlich und befinden sich, wie alle enthaltenen CDs der aktuell veröffentlichten GROBSCHNITT-Box, in einem edlen Mintpack, einem dünnen Gatefold-artigen Digi.

´Jumbo´ enthält als Bonus die Live-Versionen von ´Father Smith / Vater Schmidt´, ´The Clown´, ´Sunny Sunday’s Sunset´, ´The A.F. Song Lünen´ und die Basic-Version von ´Snowflakes´.

´Jumbo D´, die Version mit deutschen Texten, enthält als Bonus die Live-Versionen von ´Vater Schmidt´, ´The Clown´, ´Sunny Sunday’s Sunset´, ´Sonnenflug´ und ´Der Ölberg, wie er singt und lacht´, um so auf die anvisierte Gesamtlauflänge jeder CD der Box von 79:10 Minuten zu gelangen. [Weitere Informationen zur Box und gesamten Bandgeschichte befinden sich hier]

(9 Punkte)