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GROBSCHNITT – Ballermann

1974 (Metronome, Brain 1050), 2015 (Brain, Universal Music)


Nach dem Release des Debüt-Albums gingen GROBSCHNITT ausgiebig auf Tour. Noch im Jahr 1973 verließ jedoch Drummer Felix die Band und für Keyboarder Quecksilber kam Mist (Volker Kahrs) an Bord. Gerade Mist sollte nicht nur in Zukunft sehr viel zum Songwriting beitragen, sondern bereits auf `Ballermann´ neue Einflüsse im Bandsound integrieren können.

Das Album wurde vom 19. bis zum 24. Februar 1974, erneut unter Zeitnot, in den Dierks Studios in Stommeln aufgenommen. Ursprünglich als Doppel-Vinyl im April 1974 veröffentlicht, wird mit dem aktuellen Release das gesprochene Intro als ein eigener Titel `Hello My Dear Friends´ vor ´Sahara´ separiert. In gewollt schlechtem Englisch verkündet die Band:

„Hello my dear Friends, here I am again with my music, well, it´s very nice that I can speak to you now from this very fine record and I freue me, that your are freuen you, to hear my voice again, isn’t it nice? Yes it is, well, I want you to listen to my very new song, which I have brought along from a trip through Africa, and I hope you like it, do you like it? Yes you do, and also here are ebenfalls some of my very best friends, which will sing along together with me, come on boys, let´s sing, that the camels are breaking together, a one, two, three, four, la-la-la-la-laaaaaaaaa“

– und kehrt damit gleich zu Beginn den bandtypischen Humor nach vorne. Die Gitarre greift das zuvor vom Grobschnitt-Gefangenen-Chor gesungene Thema in `Sahara´ auf; instrumental gar nicht so weit vom Debüt-Album entfernt, wohnt gleichwohl dem Gesang dieses rollende ´r´ inne, sprich der Gesang ist auch hier in nicht perfektem Englisch umgesetzt worden, so dass allein `Sahara´ im Jahre 1974 den Ursprung der NDW begründet haben dürfte und selbst späteren Gruppen wie RAMMSTEIN den Weg geebnet hat. Der Chor beendet mit seinen an Geschwindigkeit irrwitzig zunehmenden „la-la-la“s das Lied.

Dennoch ist dieser Eröffnungssong auch vierzig Jahre später immer noch irritierend, da das Album hernach seinen eher originären Mix aus Hard Rock, Psychedelic und Symphonic Rock offeriert. Nicht Wenigen erscheint der Übergang zu ´Nickelodeon´ (ehemals `Nickel-Odeon´), das anfänglich gen YES tendiert, sich aber sogleich mit dem Einsatz der vom Debüt her bekannten Gitarre zum himmelhochjauchzenden Schmachtfetzen entwickelt, ziemlich drastisch. Aber nicht nur Lupos Gitarren- und Mists Orgelspiel helfen darüber hinweg, sondern ebenso Wildschweins grandioser Gesang. All diese Elemente greifen in ´Drummer´s Dream´, mit einem locker leichten Spiel von Eroc, erneut blendend ineinander und lassen einen verspielten, sonnendurchfluteten 70s Progger erklingen.

Everything around you is not really to be seen
It’s a picture of a great fantastic dream
You feel the winds of change, the sounds of rearrange
And then somebody screams “hey man why do you look so strange”

Das leicht psychedelische ´Morning Sun´ tänzelt dann tatsächlich unter der Morgenröte umher und beendet zusammen mit ´Magic Train´ – einem langen, mit Klavier-Intro versehenen Stück, das die progressive Seite á la GENESIS / URIAH HEEP zutage fördert – das erste Vinyl der ursprünglichen Veröffentlichung.

Nach den ersten fünf Liedern plus Intro ertönt schließlich GROBSCHNITTs Musterstück, das Mutterstück, der Song aller Songs: `Solar Music´. Das über 33minütige Stück lässt den Hörer endgültig abheben. Mit einer Lead-Gitarre, die direkt in den Orbit schießt, einem fast a cappella gehaltenen, kurzen Gesangsvortrag, bis eine Computer-Stimme unentwegt die Frage, „Do you … hear … solar … music?“, in den Raum stellt, folgt alsbald der Zustand der absoluten Schwerelosigkeit. Allein die beklemmende Ruhe, die eine beängstigende ´2001: A Space Odyssey´-Stimmung entstehen lässt, stellt den Beginn eines dramatisch aufgebauten Space Rockers dar. Gitarren und Orgel, Drums und Percussions, alles gerät sodann im Gleichklang zu schwingen. Der Übergang von Part 1 zu Part 2, früher auf zwei Platten-Seiten, ist völlig nahtlos, bis erneut im Anschluss an richtig wahnsinniges Gelächter nach „Solar Music“ gefragt wird. Die Orgie nimmt ihren Lauf und klingt mit sanften, Spinett-artigen Klängen am Ende aus. GROBSCHNITTS Opus Magnum durfte hernach auf keinem Konzert fehlen, die Länge des Liedes schien ständig anzuwachsen und bis heute streiten die Gelehrten über die großartigste Version. Die Live-Version von 1978 liegt dabei in der Gunst ziemlich weit vorne.

`Ballermann´ befindet sich, wie alle enthaltenen CDs der aktuell veröffentlichten GROBSCHNITT-Box, in einem edlen Mintpack, einem dünnen Gatefold-artigen Digi, und enthält als Bonus eine alternative Version von ´Sahara´, um so auf die anvisierte Gesamtlauflänge jeder CD der Box von 79:10 Minuten zu gelangen. [Weitere Informationen zur Box und gesamten Bandgeschichte befinden sich hier]

[Klassiker]