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R.E.M. – Automatic For The People

~ 1992/2023 (Craft Recordings/Universal Music) – Stil: Rock ~


Das letzte epochale Meisterwerk von R.E.M. erschien 1992.

Nachdem die US-amerikanische Gruppe mit dem 1991er Vorgänger ´Out Of Time´ und der Single-Sensation ´Losing My Religion´ endgültig zu Pop-Superstars aufgestiegen waren, stand einem weiteren Erfolg nichts im Weg. Der nächste Verkaufsschlager war vorprogrammiert. Doch R.E.M. ließen sich nicht ein weiteres Mal von der Pop-Seligkeit verführen und veröffentlichten mit ´Automatic For The People´ das nächste Wunderwerk.

Die anderthalb Jahre nach ´Out Of Time´ veröffentlichte Scheibe entstand in ihrer Heimatstadt Athens während ausgiebiger Jamsessions und wurde in New Orleans im „Kingsway Studio“, in New York City im „Bearsville Studio“, in den „Criteria Recording Studios“ von Miami und in den „Bobby Brown Studios“ von Atlanta aufgenommen.

Ein melancholisches Meisterwerk, das nicht zurück zu ihren musikalischen Wurzeln ging, aber sich ebenfalls nicht abermals gänzlich diametral zu ihrer angestammten College Rock- und Post Punk-Szene zeigte und sich dennoch mit 18 Millionen verkauften Einheiten zum erfolgreichsten Album der Bandgeschichte entwickelte.

Die größte Rockband, nicht nur des Alternative Rock, hieß in jenen Tagen R.E.M.

Wie es sich für Klassiker geziemt, wird auch dieser des Öfteren wiederveröffentlicht und erscheint derzeit in einer wundervollen „Special Yellow Vinyl Edition“. Schöner und gelber geht es tatsächlich nicht. Insofern erhält jeder nunmehr die Chance, in einem schönen Gelbton die Musik zu genießen, die für endlose Fahrten über den Highway, für nächtliches Baden im dunklen Fluss und für das Sinnieren über den Mann auf dem Mond erschaffen wurde.

Bekanntermaßen war und ist diese Musik für die dämmerigen Abendstunden oder glühenden Morgenstunden gedacht. Sie unterstreicht jede Note mit großem Gefühl und mit immensem Nachdruck. Sie ist traurig und stammt von weisen Köpfen, denn schließlich verarbeitete Sänger Michael Stipe seine Ängste vor dem Alter und dem Tode, seine Sehnsüchte sowie seine Erinnerungen, die sich bildlich gesprochen bei aller Sentimentalität in Schwarzweiß-Fotos präsentieren.

Auf ´Automatic For The People´ offenbart sich selbst nach 30 Jahren ein Über-Klassiker nach dem anderen. Mit ´Drive´ donnern wir über die unendlichen Landstraßen. Tick-tock, tick-tock. Stipe fragt dabei, wo die Rock’n’Roll-Kids geblieben sind und zitiert Bill Haley: „What if you rock around the clock?“

Mit dem folkigen ´Try Not To Breathe´ müssen wir über Sterbehilfe sinnieren, da sich Kurt Cobain angeblich beim Hören dieses R.E.M.-Werkes selbst erschoss. „Oh, oh, Sweetness Follows“, singt Michael Stipe in eben diesem ´Sweetness Follows´ in Angesicht von Beerdigungen nächster Angehöriger.

Mit dem nächsten Über-Klassiker aus der Feder von Schlagzeuger Bill Berry, ´Everybody Hurts´, heult insgeheim die gesamte Welt, obgleich man sich niemals unterkriegen lassen soll: „Hold on!“ „You’re not alone!“

Mit ´The Sidewinder Sleeps Tonite´ wird nicht á la „The Lion Sleeps Tonight“ gejault, sondern über einstige Gespräche an Telefonzellen: „Call me when you try to wake her up.“

Mit ´Monty Got A Raw Deal´ folgen wir über den Titel als Referenz zu Moderator Monty Hall aus der TV-Show „Let’s Make A Deal“ den Weg zum unglücklichen US-Schauspieler Montgomery Clift. Mit dem brodelnden Rock von ´Ignoreland´ weiden wir uns an den Anspielungen auf die US-Regierungen unter Ronald Reagan und George H. W. Bush zur Kostung eines Fitzelchens Post-Grunge. Und säuseln in aller Ruhe: „Fick mich, Kätzchen.“

Denn mit dem nächsten Über-Klassiker ´Man On The Moon´ grübeln wir nicht über die TV-Show der Mondlandung, sondern betrachten den US-Entertainer Andy Kaufman, dessen Leben in „Man On The Moon“ verfilmt wurde: „Yeah, yeah, yeah, yeah!“

Mit dem weiteren Über-Klassiker ´Nightswimming´ liegen wir in der Nacht unter sternenklarem Himmel im feuchten Gras, abermals, wie ein Großteil aller Lieder, durch Streicherarrangements von LED ZEPPLINs John Paul Jones verziert, während Michael Stipe von Bassist Mike Mills am Klavier begleitet wird.

Am Ende nehmen wir alle den Fluss zu unserer Bestimmung: ´Find The River´, ganz klassisch. Aber hey: „Hold on!“ – „You’re not alone!“ – „Oh, Sweetness Follows!“ Gefühlvoll. Herzzerreißend. Sehnsuchtsvoll.

(Klassiker)

 

 

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