MeilensteineSpezielles

Lemmy has left the earth …


… not.

 

Ian Fraser Kilmister (* 24.12.1945, † 28.12.2015)



Nein, denn Ian Fraser „Lemmy“ Kilmister ist zwar am 28. Dezember 2015 in Los Angeles, Kalifornien, von uns gegangen, hat sein irdisches Leben beendet, doch in unseren Gedanken bleibt er auf ewig der letzte große Rock’n’Roller.

Geboren am Heiligabend 1945 in Stoke-on-Trent, Staffordshire, England, begann Lemmy seine Musiklaufbahn als Roadie bei Jimi Hendrix, spielte u.a. mit der Beatband THE ROCKIN´ VICKERS, den Psychedelic-Rockern SAM GOPAL und seit 1971 den Bass bei den Spacerockern HAWKWIND. Nach seinem Rauswurf gründete er 1975 MOTÖRHEAD, die am 20. Juli 1975 ihren ersten Auftritt im Londoner Roundhouse und ihren letzten am 11. Dezember 2015 auf der Bühne der Berliner Max-Schmeling-Halle absolvieren sollten.

 

Die Redaktion von Streetclip.tv hat ihre persönlichen MOTÖRHEAD-Erlebnisse aufgeschrieben:

MOTÖRHEAD tauchten in meinem Leben 1979 auf. Ich hing bei einem Schulkumpel ab, der einen älteren Bruder hatte, der wie ich Hardrock hörte. Er gab mir `Overkill` – mit der Ansage: „Das wird dein Leben verändern.“ Wie recht er hatte! Ich lief tagelang wie geistesgestört durch die Gegend. So etwas hatte ich zuvor noch nicht gehört! `Overkill` und das Folgealbum `Bomber` waren von da an meine Religion. Als 1980 `Ace Of Spades` erschien, lief ich fast Amok. Aber erst 1981 sah ich MOTÖRHEAD zum ersten Mal live. Im Sommer auf den Golden Summer Night Festival u.a. mit IRON MAIDEN (Paul Di Anno!). War gut, aber nicht das ultimative Erlebnis in Sachen MOTÖRHEAD. MAIDEN waren überzeugender. Aber egal …

Das ultimative MOTÖRHEAD Erlebnis kam erst am 8.12.1981. Und wer war Opener? The mighty TANK. Das perfekte Paket! Es war mein erstes Konzert, das ich komplett aus der ersten Reihe aus miterlebte. Ich ging weder pinkeln, noch was trinken. Fest in die Absperrung gekrallt überfuhren mich erst Algy Ward & Co., die zu diesem Zeitpunkt das zweitgeilste nach MOTÖRHEAD waren. Dann die Offenbarung, das Unfassbare, die unglaubliche Wucht an Lautstärke und Power! Dazu der Bomber über der Band: Ich schrie, ich bangte, ich war außer mir. So etwas hatte ich noch nicht gesehen und gehört. Nach dem Konzert warteten wir vor der Halle. Lange, verdammt lange. Dann kamen Lemmy, Eddie und Phil raus, hüpften in einen kleinen Bus und fuhren zurück ins Hotel. Wir hinterher. Im Hotel der erste Kontakt, ich habe mir fast in die Hosen gemacht. Philthy stockbesoffen – ist gleich auf sein Zimmer. Fast Eddie war cool. Autogramme gegeben, 2-3 Minuten gelabert und dann ebenfalls aufs Zimmer mit Dame. Einzig Lemmy blieb in der Hotelbar – am Spielautomaten. Auch besoffen, keinen Bock auf Autogramme. Und wie das damals so war, keiner hatte eine Kamera dabei – wer dachte denn auch an sowas? Wir blieben knapp ´ne Stunde in der Hotelbar, beobachteten Lemmy und versuchten mit diesem Assi ins Gespräch zu kommen. Irgendwann zogen wir unverrichteter Dinge ab. Ich war tagelang nach dem Konzert aufgeputscht und MOTÖRHEAD liefen ununterbrochen. Meine Eltern waren kurz vorm Kollaps. Im gleichen Jahr sah ich VAN HALEN, JUDAS PRIEST etc … alles weitestgehend weg aus den Erinnerungen verschwunden … MOTÖRHEAD sind geblieben. 

Dass ich später das Privileg hatte, Lemmy persönlich kennenzulernen bzw. interviewen zu dürfen, war damals ja nicht abzusehen.

Bei meinem ersten Lemmy-Interview pisste ich mich fast voll….mit jedem weiteren kam aber mehr Sicherheit und glaubt mir, Herr Kilmister nutzte jede Schwäche, um einen dumm dastehen zu lassen. Er machte sich einen Spaß daraus. Abgesehen davon waren die Interviews aber immer sehr amüsant. Eines der coolsten war Ende der Achtziger. Ich bekam die Adresse eines Hotels in Frankfurt. Dort bekam ich die Zimmernummer und mein Zeitfenster mitgeteilt. Rauf, angeklopft … warten … Tür geht auf, Lemmy mit `nem Whisky in der Hand, sein obligatorisches schwarzes Outfit, weiße Socken, keine Stiefel an. Er glotzt mich an, ich glotze ihn an. Er sieht meine Schlangenleder Boots, brummelt was in sich rein, bittet mich ins Zimmer, drückt mir gleich `nen Whisky in die Hand und weist mir einen Sessel zu. Die Boots hatten seine ganze Aufmerksamkeit und dadurch wurde er irgendwie total locker und redete und redete. Die geplanten 30 Minuten wurden zu fast 50 Minuten und irgendwie war ich dann froh gehen zu können, denn nach drei Whisky hatte ich ordentlich Drehzahl und musste ja noch Autofahren. Ein paar Jahre später hatte ich erneut das Privileg, Lemmy zu interviewen. Ich hatte wiederum die Boots an, wie ein paar Jahre zuvor – an die konnte er sich erinnern, an mich nicht.

Irgendwie war es schon länger abzusehen, dass Lemmy nicht mehr lange durchhalten würde. Jetzt, wo es passiert ist, ist es dennoch ein Schock. Die Metalwelt wird nicht mehr dieselbe sein. Eine riesige Lücke ist entstanden, die niemand füllen kann. 36 Jahre lang waren Lemmy und MOTÖRHEAD meine musikalischen Begleiter … das schüttelt man nicht so einfach ab und geht ins Tagesgeschäft über. Das nagt.

R.I.P. Lemmy

Jürgen Tschamler

 

 

Wem die Gnade eines größeren Bruders zuteil wurde, der kann natürlich gerade musikalisch gesehen sehr davon profitieren. Ein gegenseitiges Befruchten in späteren Jahren nicht ausgeschlossen. So gehörten eigentlich recht früh, Anfang der Achtziger, Songs wie ´Ace Of Spades´ zur Zimmerbeschallung. Der richtig innige Kontakt zur Band MOTÖRHEAD ließ aber noch auf sich warten. Natürlich waren das ´Pik-Ass´-Symbol als auch ´Snaggletooth´ irgendwie allzeit vorhanden; ganz einfach so wie Dinge, die es schon immer gab. Als es langsam losging, mit dem Kaufen und dem was sich später wohl als Sammeln herausstellen sollte, war ´Orgasmatron´ in aller Munde, doch ´Rock ’n‘ Roll´ erfüllte anschließend bei seinem Vinyl-Einstand auf meinem Plattenteller der brandneuen Hifi-Anlage keineswegs damalige musikalische Träume. Und irgendwie denkt der gemeine Musikhörer sowieso immer nur an die guten alten Zeiten, an die alten Klassiker. Holt sie aus dem Plattenschrank heraus, die alten Scheiben, das gute Stück auf schwarzem Vinyl. Scheinbar kommen demnach aktuell gar keine guten Alben heraus – ein Irrglaube, der bis heute anhält.

Dennoch, im Jahre 1991 hatten mich Lemmy, Würzel und Philthy mit ´1916´ endgültig wieder gepackt. Ein Prachtalbum – von vorne bis hinten, ein wahres Meisterwerk, das endlich in voller Gänze den Raum beschallen konnte. In höchstmöglicher Lautstärke natürlich. Zurück bleiben dabei zudem die Erinnerungen an eine Menge an Interviews, in denen Lemmy eigentlich schon in den Achtzigern wie eine Lichtgestalt betrachtet und weit mehr als Vaterfigur angesehen wurde. Mit einer unglaublicher Finesse und Treffsicherheit in Sachen Humor und Pointen. Ja, er war der Gottvater des Rock’n’Roll.

Michael Haifl

 

 

Mein MOTÖRHEAD-Erweckungserlebnis hieß ‚No Sleep Til Hammersmith‘. Bis heute ist diese Scheibe mein absolutes Lieblings-Livealbum, noch besser als IRON MAIDENs ‚Live After Death‘ oder UFOs ‚Strangers In The Night‘. Zu verdanken habe ich den Erstkontakt einem meiner ältesten Schulfreunde, der mir 1987 (oder war’s schon ’88?) ein handbeschriftetes 120-Minuten-Ferro-Mixtape zusammenstellte, das ich bis heute im Regal stehen habe. SAXON waren drauf, SLAYER, VENOM, METALLICA – und eben MOTÖRHEAD, die sich am tiefsten in meinen damals noch zarten Schädel bohrten. Hatten die wirklich ein Flugzeug auf der Bühne? Waren die so gefährlich, wie sie aussahen? Ich erinnere mich an wunderbare Nachmittage, als wir uns die ‚Hammersmith‘ gleich mehrmals hintereinander in voller Länge reinzogen und uns gegenseitig immer wieder fragten, ob jetzt ‚Iron Horse‘ besser sei als ‚The Hammer‘ – oder doch ‚Overkill‘, ‚Bomber‘, oder ‚Ace Of Spades‘ (hmm, aber das findet ja jeder geil…). Ich kann guten Gewissens bis heute keine MOTÖRHEAD-Lieblingsnummer nennen. ‚I Got Mine‘ vielleicht, weil das so anders klingt, so luftig und fröhlich. Oder als Gegenteil ‚Orgasmatron‘. Gibt’s was Fieseres?

Unvergesslich natürlich das erste Konzert! 1991 im Deutschen Museum in München, die ‚1916‘-Tour mit den CYCLE SLUTS FROM HELL als Vorband. Wir hatten auf der Fahrt im Kleinbus schon ein bissl vorgeglüht, besagter Freund etwas mehr. Jedenfalls war er wie von Sinnen als wir eine halbe Stunde vor Konzertbeginn in die Halle kamen und MOTÖRHEAD auf der Bühne standen. Völlig verzweifelt rannte er zwischen den spärlichen Reihen umher, wir natürlich hinterher, um ihn zu beruhigen. „Das gibt’s doch nicht, das darf nicht sein, warum haben die früher angefangen? Zefix!“ Die Auflösung: MOTÖRHEAD drehten gerade den Videoclip zu ‚Angel City‘. Wer genau hinsieht, entdeckt ein panisches Gesicht unter den eingeweihten… Das Konzert war natürlich der Hammer, laut wie die Hölle, eine Band im zweiten Frühling. Was für ein Abend!

Nie hätte ich es damals für möglich gehalten, dass ich Lemmy mal persönlich zu einem Interview treffen könnte. Erst als ich schon länger bei der Zeitung arbeitete, versuchte ich es dann doch mal auf gut Glück. Götz Kühnemund vermittelte mir den Kontakt zu Tourmanagerin Ute Kromrey, die ich bereits zehn Monate vor dem München-Konzert im Dezember 2012 anschrieb, um nach einer Audienz zu fragen. Lange hörte ich nichts Konkretes, dann ging’s ganz unkompliziert. Nach der Ankunft in der Zenith-Halle wollte Lemmy den Termin erst verschieben lassen, doch Ute, die ihn seit Ewigkeiten kannte und beinahe mütterlich behandelte, gewährte ihm eine Stunde Garderobenschlaf, ehe dann alles wie geplant anlief. Nervös wie sonstwas betrat ich die Garderobe, mein Bruder, der als halboffizieller Fotograf auch seinen Rickenbacker-Bass zum Signieren mitgebracht hatte, war ebenfalls sehr still geworden. Doch das Eis der Angst taute schnell, Lemmy ließ uns zwei Whisky-Cola nach seiner Art mischen (eine Fingerbreit Cola, Rest Jack Daniel’s), die Eiswürfel gab der Meister mit seiner Pranke persönlich hinzu. Dazu noch zwei Marlboro, und los ging’s. Lemmy wirkte zwar müde, aber keineswegs lustlos. Aus den vereinbarten 20 Minuten wurden 40, sogar die Frage nach seiner verstorbenen Mutter beantwortete er, obwohl mir im Vorfeld davon abgeraten worden war, das Thema Familie anzuschneiden. Zum Abschied schenkte ich Lemmy eine Flasche Slyrs, Schlierseer Whisky. „From Bavaria?“, fragte er und musterte das Etikett. „Interesting… I’ll try it and let you know if I liked it.“ Noch in der Nacht nach dem Konzert kam eine SMS von Ute Kromrey aus dem Tourbus: „Lemmy lässt ausrichten, dass ihm dein Whisky sehr gut geschmeckt hat. Das nächste Mal gerne wieder “ 😉


Ludwig Krammer

 

Keine angekündigte Abschiedstour, kein Firlefanz – Lemmy war Rock’n‘ Roller von Kopf bis Fuß, mit ganzem Herz – bis zuletzt. Sein gesamtes Leben war eine Bühne, nicht nur der öffentliche Auftritt.

Am 13. Dezember, nach Abschluss der Europa-Tour, feierte Lemmy mit Freunden und Weggefährten, darunter Lars Ulrich und Slash, im Whisky a Go Go in West Hollywood bereits seinen 70. Geburtstag, den er am 24. Dezember begehen konnte. Zwei Tage später erfuhr Lemmy von seinem Krebsleiden. Am 28. Dezember 2015 starb er in seinem Appartement in Los Angeles. Das offizielle Statement seiner Bandkollegen:

„There is no easy way to say this…our mighty, noble friend Lemmy passed away today after a short battle with an extremely aggressive cancer. He had learnt of the disease on December 26th, and was at home, sitting in front of his favorite video game from The Rainbow which had recently made it’s way down the street, with his family.

We cannot begin to express our shock and sadness, there aren’t words. 

We will say more in the coming days, but for now, please…play Motörhead loud, play Hawkwind loud, play Lemmy’s music LOUD. 

Have a drink or few. Share stories. Celebrate the LIFE this lovely, wonderful man celebrated so vibrantly himself.

HE WOULD WANT EXACTLY THAT.

Ian ‘Lemmy’ Kilmister
1945 -2015
Born to lose, lived to win.“


29.12.15